Alchemie - Teil 5
Der alchemistische Wandlungsprozesses, seine Grundlagen, seine Begriffe, seine Symbole und seine Bedeutung
Um den Wandlungsprozess und vor allem seine transzendente Bedeutung verstehen zu können, muss man sich zunächst mit einigen Grundbegriffen der Alchemie und zumindest bis zu einem gewissen Grad mit dem philosophischen Hintergrund, in den sie eingebettet ist, vertraut machen.Einleitend möchte ich zunächst auszugsweise C.G. Jung zitieren:
Die Grundlage der Alchemie ist das Werk. Dieses besteht aus einem praktischen Teil, der eigentlichen Operatio, die wir uns als ein Experimentieren mit chemischen Körpern zu denken haben. Es ist meines Erachtens, völlig aussichtslos, in das unendliche Chaos der behandelten Stoffe und der Prozeduren irgendwelche Ordnung bringen zu wollen. Man kann sich selten auch nur ein annäherndes Bild davon machen, wie und mit was für Stoffen gearbeitet und was für Resultate erzielt wurden. In der Regel befindet sich der Leser auch in tiefster Dunkelheit mit den Stoffbezeichnungen, welche irgendetwas heißen können, und es sind gerade die meistgebrauchten Stoffe, wie Quecksilber, Salz und Schwefel, deren alchemistische Bedeutung zu den Geheimnissen der Kunst gehört. [1]
Ich habe dem eigentlich nichts hinzuzufügen, möchte jetzt aber im Nachfolgenden dennoch versuchen, wenigstens ein bisschen Licht ins Dunkel zu bringen.Die Vier-Elemente-Lehre
Gemäß der klassischen Vier-Elemente-Lehre besteht alles was ist, aus den vier Grundelementen Luft, Feuer, Wasser und Erde, womit bald nicht mehr die Elemente im Sinne ihrer heutigen physikalisch-chemischen Definition gemeint waren, auch wenn das anfänglich so gewesen sein mag.
Die vier Elemente der Alchemie [2] |
Anaximenes (585-525 v. Chr.) vertrat die Auffassung, die Luft sei der Urstoff aller Dinge und Heraklit (ca. 540-475 v. Chr.) war der Meinung, das Feuer müsse dieser Urstoff sein.
Empedokles (Geburtsjahr unbekannt, verstorben ca. 434 v. Chr.) formulierte schließlich eine detaillierte Lehre von den vier Elementen als den vier Grundstoffen allen Seins, wobei er möglicherweise nicht der erste war, der diese Idee hatte; er mag hier durchaus auf Ideen seiner Vorgänger aufgebaut haben. So hatten seine Vorgänger den vier Elementen bereits Eigenschaften zugeordnet, die wir in der heutigen Naturwissenschaft als Aggregatzustände und deren Eigenschaften auffassen. Empedokles nahm an, die vier Elemente Luft, Feuer, Wasser und Erde seien unveränderlich, unzerstörbar und ewig existierend und durch ihre Mischung in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen würden alle anderen Stoffe – die zusammengesetzten Stoffe – entstehen.
Auch in der antiken Medizin spielten die vier Elemente eine große Rolle. Indem den vier Elementen im Laufe der Zeit Gottheiten zugeordnet wurden, erhielten sie weitere Eigenschaften, die über die medizinische Bedeutung hinausgehen und sich in die Psychologie erstrecken. Dabei erweiterten sie auch ihre ursprüngliche in heutiger Terminologie physikalisch-chemische Bedeutung und nahmen eine symbolische transzendente Bedeutung an, und diese wurde zu einem wesentlichen Bestandteil der Hermetik.
Empedokles Nachfolger entwickelten die Vier-Elemente-Lehre weiter.
Platon (ca. 428-347 v. Chr.) führte den Äther (Geist) als fünftes Element ein, dieser Äther ist in der Alchemie auch unter dem Namen Azoth bekannt und stellt eine Vorstufe des Lapis Philosophorum dar. Zudem ordnete er jedem der vier Elemente einen so genannten regelmäßigen Körper (im geometrischen Sinn) zu. Aristoteles (384-322 v. Chr.) ordnete den vier Elementen die beiden bipolaren Eigenschaftspaare warm/kalt sowie trocken/feucht zu und bezeichnete den Äther als die den ursprünglichen vier Elementen zugrunde liegende Quintessenz (von lateinisch quinta essentia: die fünfte Wirkung). Diese Quintessenz ist im transzendenten Sinn identisch mit Platons Äther.
In Alexandria kam die Vier-Elemente-Lehre schließlich im vierten vorchristlichen Jahrhundert mit der ägyptischen Alchymia in Kontakt [3]. Im Ägypten dieser Epoche waren Alchymia (Alchemie) und Religion eng miteinander verbunden. Den Elementen wurden nun auch zusehends feinstoffliche und spirituelle Eigenschaften zugeordnet, zum Beispiel Elementenergien. Die Vier-Elemente-Lehre vermischte sich mit mystischen und religiösen Vorstellungen und die Alchemisten begannen damit, nach der quinta essentia – der vereinigten Weisheit aus den vier Elementen zu suchen. Aus jener Zeit dürfte auch die Idee stammen, die Quintessenz mit dem Stein der Weisen oder zumindest einer Vorstufe desselben, nämlich Azoth, zu identifizieren. Außerdem wurden in jener Zeit den vier Elementen erstmals Metalle zugeordnet.
In der Alchemie des späten Mittelalters und in der frühen Neuzeit spielten die vier Elemente und die Quintessenz eine wesentliche Rolle und sie wurden auch von der Astrologie übernommen (Zuordnung von Tierkreiszeichen).
Der bereits erwähnte Alchemist und Arzt Paracelsus hat wesentlichen Anteil daran, dass den vier Elementen spirituelle Wesen zugeordnet wurden.
In der nachstehenden Tabelle habe ich alle wesentlichen Zuordnungen und Verknüpfungen aufgelistet. Einige davon sind neueren Datums, z.B. die Tarot-Zuordnungen.
Element |
Luft
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Feuer
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Wasser
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Erde
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Elementsymbol | ||||||||||||||||||||||||||||
Regelmäßiger Körper (nach Platon) |
Oktaeder
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Tetraeder
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Ikosaeder
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Würfel
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Qualitäten (nach Aristoteles) |
heiß & feucht | heiß & trocken | kalt & feucht | kalt & trocken | ||||||||||||||||||||||||
Hauptqualität | feucht | heiß | kalt | trocken | ||||||||||||||||||||||||
Geschmack | süß | bitter | salzig | sauer | ||||||||||||||||||||||||
Farbe | gelb | rot | blau | grün | ||||||||||||||||||||||||
Prinzip / Geschlecht | männlich | männlich | weiblich | weiblich | ||||||||||||||||||||||||
Eigenschaften | gebend | gebend | empfangend | empfangend | ||||||||||||||||||||||||
Himmelsrichtung (wie in der Zeremonialmagie üblich) |
Osten | Süden | Westen | Norden | ||||||||||||||||||||||||
Himmelsrichtung (gelegentlich zu finden) |
Osten | Süden | Norden | Westen | ||||||||||||||||||||||||
Gestirne | Jupiter Venus |
Sonne Mars |
Saturn Merkur |
Zodiak Mond |
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Tierkreiszeichen |
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Elementherrscher | Paralda | Djin | Niksa | Ghob | ||||||||||||||||||||||||
Elementarwesen (nach Paracelsus) |
Sylphen | Salamander | Udinen | Gnome | ||||||||||||||||||||||||
Elementarwesen (andere Autoren) |
Zephir Feen |
Drachen | Nymphen Nixen |
Zwerge Trolle |
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Erzengel | Raphael | Michael | Gabriel | Uriel | ||||||||||||||||||||||||
Winde in der griechischen Mythologie |
Euros | Boreas | Zephir(os) | Notos | ||||||||||||||||||||||||
Tarot – Suit | Schwerter | Stäbe | Kelche | Scheiben / Pentakel | ||||||||||||||||||||||||
Tarot – Hofkarte | Prinzen | Könige (Ritter bei Crowley) |
Königinnen | Prinzessinnen | ||||||||||||||||||||||||
Funktionstypen (nach Agrippa von Nettesheim) |
Vernunft | Verstand | Einbildungskraft | vegetative Natur | ||||||||||||||||||||||||
Funktionstypen (heute gebräuchlich) |
Bewusstsein Intellekt Denken |
Intuition | Fühlen | Empfinden Spüren [4] |
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Temperament | sanguinisch | cholerisch | melancholisch | phlegmatisch | ||||||||||||||||||||||||
mythologische Tiere | Adler Greif |
Löwe Phoenix |
Schlange Drache |
Bulle Einhorn |
Eine Anmerkung zu den regelmäßigen Körpern:
Für die Pythagoräer bestand zwischen den regelmäßigen Körper eine hierarchische Beziehung.
- Der Würfel besteht aus sechs quadratischen Flächen und wird mit der dunklen, kalten Erde identifiziert, mit der uranfänglichen Materie, aus der die Welt entstanden ist. Aufgrund seiner Regelmäßigkeit ist er auch der stabilste der regulären Körper. Daher steht er am unteren Ende der Skala.
- Der nächste in der Hierarchie ist der Ikosaeder. Er wird dem Element Wasser zugeordnet und besteht aus zwanzig dreieckigen Flächen; sein Name bedeutet Zwanzigflächner. Wegen seiner vielen Flächen wurde er von den Pythagoräern als schwergewichtig betrachtet und steht daher auf der zweit untersten Ebene.
- An der dritten Stelle rangiert der Oktaeder, der dem Element Luft zugeordnet wird. Er besteht aus acht dreieckigen Flächen.
- An oberster Stelle steht der Tetraeder. Er besteht aus vier dreieckigen Flächen. Da er der einfachste der regulären Körper ist (im Sinne von am wenigsten komplex; geringster Komplexitätsgrad), gilt er als der leichteste und wird daher dem Element Feuer zugeordnet.
Das Kreuz der vier Elemente |
Das Pentagramm der vier Elemente und des Geistes |
- Feuer, weil am leichtesten, bewegt sich zum Himmel (bis zu den Sternen beziehungsweise zum Zodiac).
- Luft bewegt sich ebenfalls himmelwärts, aber nicht so hoch hinauf wie Feuer.
- Wasser hat seinen natürlichen Platz unterhalb der Luft, aber oberhalb der Erde (Wasser fließt auf der Erde).
- Erde ist am schwersten, bleibt folglich ganz unten und bildet das Fundament.
Die vier Elemente und ihre Eigenschaften nach Aristoteles |
- Beginnen wir mit dem Element Feuer. Feuer hat die Eigenschaften trocken und heiß. Sein Komplementär ist Wasser. Wasser hat die Eigenschaften kalt und feucht. Wasser und Feuer haben keine gemeinsamen Eigenschaften.
- Betrachten wir nun das Element Erde. Erde hat die Eigenschaften trocken und kalt. Ihr Komplementär ist die Luft. Luft hat die Eigenschaften heiß und feucht. Luft und Erde haben keine gemeinsamen Eigenschaften.
- Feuer und Luft haben die Eigenschaft heiß gemeinsam.
- Luft und Wasser haben die Eigenschaft feucht gemeinsam.
- Wasser und Erde haben die Eigenschaft kalt gemeinsam.
- Erde und Feuer haben die Eigenschaft trocken gemeinsam.
In diesem Sinn ist trocken komplementär zu feucht; und heiß ist komplementär zu kalt.
Benachbarte Eigenschaften haben jeweils ein Element gemeinsam.
- Trocken und heiß haben das Feuer gemeinsam.
- Heiß und feucht haben die Luft gemeinsam.
- Feucht und kalt haben das Wasser gemeinsam.
- Kalt und trocken haben die Erde gemeinsam.
Nimmt man also zum Beispiel kaltes Wasser und entzieht ihm einen Teil der Feuchtigkeit, so entsteht in diesem Bild Eis (dieses Bild gibt den physikalischen Vorgang des Gefrierens von Wasser symbolisch wieder). Man bewegt sich dabei auf der Feucht-Trocken-Achse Richtung trocken. Das, was dabei entsteht, liegt im Innern des Quadrats der obigen Abbildung. Es ist etwas Trocken-Kaltes ohne wirklich Erde zu sein.
Nimmt man wieder kaltes Wasser und erhitzt es, so entsteht Wasserdampf. Man bewegt sich dabei auf der Kalt-Heiß-Skala in Richtung heiß. Auch in diesem Beispiel liegt das, was dabei entsteht, im Innern des Quadrats. Wasserdampf ist etwas Feucht-Heißes ohne wirklich Luft zu sein.
Man kann noch viele solcher Beispiele machen. Sie sollen verdeutlichen, das alle nicht-elementaren Substanzen aus den vier Grundelementen und den vier grundlegenden Eigenschaften in bestimmten Kombinationen (Konzentrationen, Mengenverhältnissen, etc.) zusammengesetzt sind. Alles was zusammengesetzt und in diesem Sinne nicht elementar ist, befindet sich im Innern des Quadrats der obigen Abbildung. Wenn man sich auf einer der beiden Eigenschaften-Skalen von einem Extrem bis zum anderen bewegt, so ersetzt man das eine Element durch das andere.
Anstelle der Eigenschaften heiß, feucht, kalt und trocken kann man natürlich auch ein anderes Quadrupel verwenden; zum Beispiel bitter, süß, salzig, sauer.
Die vier Elemente und die vier Grundeigenschaften sind Platzhalter, die man durch andere Begriffe beziehungsweise Symbole ersetzen und die man auch abstrahieren kann. Letzteres möchte ich an einer späteren Stelle in diesem Essay tun, nämlich dann, wenn ich mich mit der Beziehung zwischen Alchemie und Tiefenpsychologie sowie mit der Alchemie als Bindeglied zwischen Physik und Tiefenpsychologie beschäftigen werde. Bei dieser Gelegenheit werde ich dann auch auf die Begriffspaare Raum und Bewegung sowie Zeit und Energie eingehen, die in der Abbildung bereits vermerkt sind.
Zunächst nur soviel: Die vier Elemente und ihre Eigenschaften beschreiben unsere Äußere Welt (oder Äußere Wirklichkeit) und deren Eigenschaften als Objekte unserer Wahrnehmung. Durch entsprechende Ersetzung und Abstraktion kann man zu einer Beschreibung unserer Inneren Welt (oder Inneren Wirklichkeit / mentalen Wirklichkeit) gelangen und man kann erkennen, dass diese beiden Welten (Wirklichkeiten) in dem Sinn äquivalent sind, dass die eine lediglich eine Projektion der anderen darstellt. C.G.Jung ist tatsächlich von dem Ansatz ausgegangen, dass die Alchemisten ihr Innenleben, oder besser gesagt ihre unterbewussten mentalen Vorgänge, in den alchemistisch-chemischen Prozess projiziert haben. Auch davon später mehr.
Die regelmäßigen Körper und ihre Zuordnung zu den vier Elementen spielen übrigens auch – soviel sei noch erwähnt – im Denken Robert Fludds, eines bekannten Alchemisten und Rosenkreuzers, eine wichtige Rolle. Den Pythagoräern wie auch Robert Fludd galt die Vier als heilige Zahl. Für sie war die Vier die vollkommenste Zahl und der Ursprung allen Seins. Auch darauf werde ich bei der Betrachtung der Beziehung zwischen Alchemie und Tiefenpsychologie noch zurückkommen.
Fußnoten:
[1] C.G.Jung, Gesammelte Werke, 12. Band, Psychologie und Alchemie, Walter Verlag, Düsseldorf, Sonderausgabe, 2. Auflage 2006, S.332, Paragraph 401
[2] Diese Bild- oder Mediendatei ist gemeinfrei, weil ihre urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist. Dies gilt für die Europäische Union, die Vereinigten Staaten, Australien und alle weiteren Staaten mit einer gesetzlichen Schutzfrist von 70 Jahren nach dem Tod des Urhebers.
[3] Die Bibliothek von Alexandria war zu diesem Zeitpunkt das, was man heutzutage ein Forschungszentrum nennen würde.
[4] bezieht sich auf das Wahrnehmen mit den 5 Sinnen
Forsetzung folgt
[2] Diese Bild- oder Mediendatei ist gemeinfrei, weil ihre urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist. Dies gilt für die Europäische Union, die Vereinigten Staaten, Australien und alle weiteren Staaten mit einer gesetzlichen Schutzfrist von 70 Jahren nach dem Tod des Urhebers.
[3] Die Bibliothek von Alexandria war zu diesem Zeitpunkt das, was man heutzutage ein Forschungszentrum nennen würde.
[4] bezieht sich auf das Wahrnehmen mit den 5 Sinnen
Forsetzung folgt